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von holzbein » Do 28. Jun 2018, 12:20
Das Spiel gestern war grauenvoll.
Fast keine Bewegung, null kreative Ideen, offenbar zunehmend Pudding in vielen Beinen und Blockaden in den meisten Köpfen.
Dass Löw nun von einigen so massiv in Frage gestellt wird, geht mir aber zu schnell und ist mir auch zu einfach.
Natürlich ist so ein Leistungseinbruch der Mannschaft nicht ohne größere Fehler (zumindest Fehleinschätzungen) des Cheftrainers zu erklären.
Aber er hat in der Vergangenheit so viel richtig gemacht und gerade mit seiner Vorgehensweise großen Erfolg gehabt und nach den vielen Rumpellfußballjahren der Nationalmannschaft eine richtig ansehnliche und erfolgreiche eigene Handschrift verpasst, die diese über viele Jahre sehr konstant auf den Platz gebracht hat (und viel konstanter als jede andere Nationalelf).
Natürlich hatte er auch eine richtig gute Spielergeneration zur Verfügung, aber ich bin skeptisch, ob viele andere Trainer mit diesen Spielern so konstant bei sechs(!!) großen Turnieren in Folge immer mindestens bis ins Halbfinale vorgestoßen wären, dazu noch zwei Finalteilnahmen (2008 und 2014) und einen Titel (2014).
Ein Nationaltrainer ist in einer grundlegend anderen Situation als ein Vereinstrainer.
Einerseits kann er keine Spieler dazukaufen, andererseits werden auch ihm keine Spieler abgeworben.
Er hat keinen festen Kader, sondern einen großen Pool an möglichen Spielern, aus denen er einen Kader formen muss, der zusammenpasst.
Zudem hat er seine Spieler nicht beständig beisammen, sondern immer nur zu verlängerten Nationalmannschaftswochenenden und dann bei den großen Turnieren und jeweils ca. drei Wochen davor.
Um hier bei dem anspruchsvollen deutschen Speilsystem auf eingespielte Automatismen zurückgreifen zu können, hat Löw immer versucht, einen Kern von Leistungsträgern beisammen zu halten, und er hat diese auch bei einer Formdelle im Kader gehalten -- und ihnen gerade dadurch oftmals wieder zur alten Form verholfen. Gleichzeitig hat er zwischen den Turnieren fortlaufend neue Spieler hinzugeholt und an das System der Nationalmannschaft gewöhnt. Auch zu den großen Turnieren nimmt er jedesmal Nachwuchsleute mit geringen Einsatzchancen mit, damit diese für das nächste Turnier schon die Erfahrung mitbringen.
Insgesamt ist das ein plausibler, ausgewogener Ansatz und war aus meiner Sicht auch ein wichtiger Faktor für die zurückliegenden Erfolge.
Im Einzelfall kann man jede einzelne Nominierung und Nichtnominierung in Frage stellen, aber Löws Grundansatz finde ich weiterhin sehr klug.
Bei diesem Turnier scheint nun dieser Ansatz erstmals nicht funktioniert zu haben -- oder vielleicht lag es auch gar nicht an diesem Ansatz, sondern wäre mit anderen Spielern auf dem Platz genau so gelaufen, wer weiß das schon.
Ich würde sehr gerne verstehen, was seit dem letzten Herbst mit den einzelnen Spielern und der Mannschaft insgesamt passiert ist. In der WM-Qualifikation haben sie nicht nur souverän alle zehn Spiele gewonnen, sondern wirklich auch spielerisch, mit ihrer Flexibilität, Geduld und Willensstärke überzeugt.
Wo ist das alles plötzlich hin?
Für mich ist das die entscheidende Frage.
Und ich vermute, eine Antwort können nur die Beteiligten von innen heraus finden.
Möglich, dass sich aus dieser Antwort ergibt, dass der Nationalmannschaft ein neuer Trainer gut tun würde.
Aber dann wohl nicht, weil er Spieler X aufgestellt und Spieler Y zuhause gelassen hat.
Da wird es dann um andere Aspekte gehen.